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VLB BLOG - Oktober 2014

 

Totalentschleunigung

30. Oktober 2014 von Wolfgang Köhle

 

Der Tod ist uns in die Wiege gelegt. Alle wissen wir, dass wir sterben müssen, aber keiner glaubt es - bis dass der Tod uns eines Besseren belehrt. Es ist nicht leicht, die Idee des Todes zu ertragen, zu wissen, daß wir aus Elementen bestehen, die für kurze Dauer zusammengeschweißt sind und nur darauf warten, sich zu trennen.

 

„Es ist kein Wunder, dass uns die Diskussion des Todes abhandengekommen ist: Um ein Todesbewusstsein kulturell zu verankern, muss eine Gesellschaft die Erfahrung von Gegenwärtigkeit ermöglichen, die Erfahrung von “Zeit haben“.

 

„Der Tod ist die radikalste Form der Entschleunigung: Ein Einbruch, ein existentielles Innehalten für Hinterbliebene, das alles andere außer Kraft setzt, alles bleibt liegen, alles muss warten. Es ist der massivste Zusammenprall unterschiedlicher Zeit- und Weltverständnisse, den man sich denken kann.“

 

In Szenen des Todes sucht Corina Caduff Schauplätze des Todes auf: Sie geht in ein Krematorium und nimmt an einem Kurs "Bewusstes Sterben" teil, sie beschäftigt sich mit dem Tod in der Literatur, der Kunst und den neuen Medien, sie spaziert durch einen FriedWald und analysiert Trauerreden, virtuelle Friedhöfe und digitale Hinterlassenschaften.

 

Schöner Tod sein

Ein Baum werden

Vögel zu Gast haben

Das wäre was

Worauf man sich freuen könnte 

 

Elfriede Gerstl

Basel Lenos-Verl. 2013

Basel Lenos-Verl. 2013

Lesen ist gefährlich

24. Oktober 2014 von Wolfgang Köhle

 

„Als Bibliotheksbenutzer sollte man die Ökologie des Ignorierens kultivieren, denn die beschränkte Lesezeit zwingt angesichts der Überfülle von Material dazu, das Allermeiste davon systematisch auszublenden. Paradoxerweise verstärkt sich dieser Effekt, je besser eine Bibliothek erschlossen ist und je leistungsfähiger die bibliothekarischen Nachweismöglichkeiten werden. Denn mit dem Anwachsen der Ausbeute bei der Recherche nach einschlägiger Literatur müssen auch die Fragestellungen immer ausgesuchter und spezieller werden, um die Fülle der Ergebnisse wieder auf ein lesbares Maß zu reduzieren. Man erhebt dabei zur Methode, was im Grund nicht mehr ist als schlichte Notwehr und Kapitulation vor einem Materialberg, den niemand mehr bewältigen kann.”

 

Darüber hinaus verschwindet Digitales nicht nur vergleichsweise schnell, wenn es nicht ständig gesichert wird, es verschwindet auch sehr gründlich. Aber auch greifbare, analoge Medien sind gefährlich! Im Verborgenen der Bibliotheken, den gefährlichsten Brutstätten des Geistes, lauern Krankheit, Tod und Verfall: Leichen, Mumien, Einbände aus Menschenhaut, todbringende Krankheitserreger, Schimmel, Büchergräber, Lesesucht …  Mehr über den morbiden Charme der Bibliothek in Büchergrüfte. Warum Büchersammeln morbide ist und Lesen gefährlich

Darmstadt Schneider 2014

Darmstadt Schneider 2014

(Das) Nichts lebt lang

23. Oktober 2014 von Wolfgang Köhle

 

„Das Glück macht nie so glücklich wie das Unglück unglücklich. Und das liegt nicht daran, dass es länger dauert, das Unglück. Es ist einfach so.”

 

Wolfgang Herrndorfs unvollendeter letzter Roman, Bilder deiner großen Liebe: Die Geschichte der verrückten, hellsichtigen Isa, die seltsame dritte Hauptfigur aus dem Roman Tschick.

 

Der Wunsch Wolfgang Herrndorfs, diesen Roman zu Ende schreiben zu können, hat sich nicht verwirklicht. An einem der letzten Tage, an denen er aufgrund seines Gehirntumors  dazu imstande war, bewahrte er seine Autorität dem Tod gegenüber mit einer Pistole.

 

„Die Wärme des Tages ist im Gras. Ich liege auf dem Rücken. Weiß umrandete Wolken ziehen vor dem Mond vorbei. Ich stelle mir vor, jemand sieht mich von oben, aber niemand sieht mich. Dabei liege ich so malerisch. Das glaube ich, und ich fühle mich so wohl und so tot und wie ein aufgestauter Fluss, über den in der Nacht immer wieder einmal der Wind geht.”

Berlin Rowohlt 2014

Berlin Rowohlt 2014

Entfinden

21. Oktober 2014 von Wolfgang Köhle

 

Der Mensch ist ein antwortbedürftiges Tier, und damit auch ein fragendes Tier. Das Hinterfragen lähmender Gewissheiten ist eine Tätigkeit des Verstörens und produktiven Irritierens. Kinder und andere philosophisch Begabte hinterfragen Fragen. Oft werden Kinder mit Antworten überhäuft, ohne dass sie Fragen gestellt haben, und, wie Paul Valery feststellte: „Die Kinder fragen warum? Also bringt man sie in die Schule, die sie von ihrem Instinkt kuriert und Neugier durch Langeweile besiegt.”

 

Philosophische Potenziale von Fragen für Therapie, Beratung und Organisationsentwicklung finden sich in Fragen - Lösen - Fragen. Der Autor Thomas Stölzl ist philosophischer Praktiker, System-Therapeut und als Coach von Organisationen und in Einzelberatung tätig.

 

Auch ungewohnte Denkwege können Fragen hinterfragen:

 

„Etwas Bekanntes, Vertrautes, vielleicht Grundlegendes wegzudenken und damit eine andere Perspektive einnehmen zu können, hat der Experimentalphilosoph Georg Christoph Lichtenberg als ‚entfinden’ bezeichnet. Das ist eine Tätigkeit, die von ähnlicher Wirkung sein kann wie das Erfinden.”

Göttingen Vandenhoeck u. Ruprecht 2014

Göttingen Vandenhoeck u. Ruprecht 2014

Die Evolution scheitert voran

17. Oktober 2014 von Wolfgang Köhle

 

„Im Anfang war das Wort – vielleicht auch nur ein – von entsprechender Mimik begleitetes – Grunzen, aber am Anfang war sicher nicht die Schrift.”

 

Fünf Millionen Jahre Menschheitsgeschichte, eine Globalgeschichte der Frühzeit der Menschheit vor der Erfindung der Schrift in einem opulenten Buch auf 847 Seiten: Die Kinder des Prometheus

 

„Wer sich die Mühe macht, dieses Buch ganz zu lesen, wird von selbst darauf stoßen: Das Signum aller Kulturen, denen er bei der Lektüre begegnen wird, ist ihre Fragilität. Sie erheben sich, halten sich – mitunter gar für Jahrtausende – und verschwinden ausnahmslos wieder. Gelegentlich lassen sich dramatische Klimaveränderungen oder eine Überbeanspruchung der Ressourcen als Ursachen für den Kollaps ausmachen; oft aber bleiben die Gründe auch völlig im Dunkeln. In jedem Fall bleibt die Hinfälligkeit aller menschlichen Kultur – egal, wo auf der Welt – unsere conditio humana.”

München Beck 2014

München Beck 2014

 

Wer oder was den Menschen geschaffen hat, bleibt ungeklärt. Unbestritten ist, wer ihn vernichtet.

„Es bleibt zu hoffen, dass die Menschheit künftig ihr Ingenium nicht vorzugsweise darauf ausrichtet, die Zerstörung ihrer über so unermesslich langen Zeiträume und mit so unendlichen Mühen erarbeiteten Lebensgrundlagen zu betreiben.”

Wasserrechte

16. Oktober 2014 von Wolfgang Köhle

 

„Mein Ziel ist es, das Geschäft mit Wasser und Abfall innerhalb von drei Jahren so groß zu machen wie das Geschäft mit Energie. Wenn wir für die richtigen Rahmenbedingungen sorgen … dann werden wir am Ende mehr Anlagemöglichkeiten haben, in die man richtig Geld stecken kann.” Usha Rao-Monari, Weltbank

 

Jedes Jahr kommen mehr Menschen durch verseuchtes Wasser als durch Krieg und Gewalttaten zu Tode. Die beiden wichtigsten globalen Institutionen, die den Kreuzzug der Privatisierung lebenswichtiger Dienstleistungen wie Trinkwasser- und Abwasserdienstleistungen vorantreiben, sind die UNO und die Weltbank. Wasserknappheit wird in unvorstellbarem Ausmaß erzeugt, indem Flüsse und Seen umgeleitet und verseucht werden, oder Grundwasser abgepumpt wird. Durch Versteigerung von Wasserrechten wurde bereits vielen Ländern des Südens die Privatisierung von Wasser aufgezwungen. Öffentliches Gut wird privatisiert. Zuerst wird Wasser den Menschen vor Ort geraubt, dann müssen diese Phantasiepreise dafür bezahlen.

München Kunstmann 2014

München Kunstmann 2014

 

Warum Wasser keine Ware wie jede andere sein darf, wie die Machtkonzentration in den Händen der Agrar- und Wassermultis aufgebrochen werden kann, und wie wir das Recht auf Wasser als Gemeinschaftsgut schützen können, weiß die Wasseraktivistin Maude Barlow: Blaue Zukunft 

So ist das Leben

14. Oktober 2014 von Wolfgang Köhle

 

Die literarische Autobiographie des ebenso zarten wie dramatischen, 70 jährigen Peter Turrini, in 92 Schritten mit Höhen und Tiefen, Triumph und Niederlage, Euphorie und Depression, Demütigung und Glückseligkeit.

 

C’est la vie, der Lauf eines Lebens, eine menschliche Tragödie und Komödie.

 

37.
Meine erste Begegnung
mit dem Wunder der Liebe
ereignete sich in der Klagenfurter Vorstadt.

 

Ich saß
im Peterhofkino
und sah
„Die Rache der Pharaonen”

 

Mein Knie
berührte das Knie
der Sitznachbarin
und geriet in Brand

 

Der Brand
dehnte sich über mein Bein
über meinen Körper
über das Kino
über die Stadt
und über das Universum
aus.

 

Seither habe ich viele großartige Filme gesehen
aber „Die Rache der Pharaonen”
bleibt der beste.

Wien Amalthea Signum Verl. 2014

Wien Amalthea Signum Verl. 2014

Heiratsmuffel

10. Oktober 2014 von Wolfgang Köhle

 

Heiratsmuffel wie Masterplan-Dietmar: erst nach folgenden drei Zeilen weiterlesen …

 

Verlieb dich oft
Verlob dich selten
Heirate nie

 

… Wer zu ignorieren bereit ist, dass EHE die Abkürzung von ERRARE HUMANUM EST ist, und seine Teilzeitverlobte ehelichen will, kann Anregungen erhalten in Verliebt - Verlobt - Verheiratet : eine Geschichte der Ehe seit der Romantik:

 

Eheantrag: „Wenn das Kennenlernen sich im sozialen Nahbereich abspielte und das Signalisieren von gegenseitigem Interesse die Regel war, konnte der Heiratsantrag doch nur vom Mann ausgehen. Der Frau war es höchstens möglich, zu einem solchen zu ermuntern oder ihn abzulehnen. In den unterbürgerlichen Schichten vollzog sich dieses Geschehen meist ohne große Förmlichkeit. Der Entschluss zur Heirat erfolgte gemeinsam, häufig im Zusammenhang mit einer Schwangerschaft. Im Bürgertum war im 19. Jh. ein Heiratsantrag üblich. Der zukünftige Bräutigam überlegte, ob erst die Zustimmung der Braut und dann die des Brautvaters eingeholt werden sollte oder umgekehrt. Berichte über einen das Knie beugenden Bräutigam, der die entscheidende Frage tut: Willst du meine Frau werden? sind selten. Unsere Vorstellungen stammen eher aus den Filmen des 20. Jh. Heute kann auch die Frau einen Heiratsantrag machen.”

 

Aus dem Inhalt:
Eheverbot, Konkubinat, Fernhochzeit, Verlobung, Mitgift, Namensrecht, Hochzeitsnacht, Ehevertrag, Hochzeitstag, Schwangerschaftsverhütung, Ehescheidung, Onkelehe, Witwenverbrennung, Wiederverheiratung, …

 

Heiratsmuffel wie Masterplan-Dietmar mögen ihre Entscheidung folgender Zeilen eingedenk treffen:
Heirate oder heirate nicht – du wirst beides bereuen!

12 Affen

7. Oktober 2014 von Mirella Sprenger

 

„Ebola-Epidemie in Westafrika”

„Ebola in Westafrika außer Kontrolle”

„Liberia fights Ebola in capital, W. Africa toll tops 1,200”

„Erstmals Ebola-Fall außerhalb von Westafrika”

„Ebola-Risiko für Deutschland nicht gestiegen”

 

Auch wenn die Wahrscheinlichkeit, dass Ebola in westlichen Ländern eine Epidemie auslöst, gering und Panik fehl am Platz ist, beschleicht mich beim Lesen von Schlagzeilen zum derzeitigen Ausbruch doch ein ungutes Gefühl.

Wir hätten beim letzten Videoabend wohl doch besser einen anderen Film aussuchen sollen! 12 Monkeys beruhigt diesbezüglich nicht wirklich. Außerdem fällt mir folgende Aussage einer meiner Lehrer wieder ein:

„Irgendwann wird sich die Erde der Menschen entledigen.” ...verdenken könnte man es ihr nicht. 

<a href="http://vlb-browser.vorarlberg.at/?itemid=|vorarlberger-marc|VLB01+001035778">München Dt. Verl.-Anst. 2013</a>

<a href="http://vlb-browser.vorarlberg.at/?itemid=|vorarlberger-marc|VLB01+001035778">München Dt. Verl.-Anst. 2013</a>

Innumeratentum

3. Oktober 2014 von Wolfgang Köhle

 

„Trockenobst ist giftig, Fast Food macht depressiv, die Choleragefahr nimmt rasant zu, Polen sind fleißiger als Deutsche.” Statistisches Unkraut wuchert überall. Anders aber als bei Arzneimittel fehlt hier ein Beipackzettel, der vor Risiken und Nebenwirkungen der Unstatistik warnt. Mit Statistiken und mit der Illusion der Zahlen-Gewissheit wird grober Unfug und Desinformation produziert, da braucht es einen Kontrapunkt.

 

„Mit der Einsicht beginnt die Therapie. Vielleicht sollten wir einfach mal aufhören, auf unser Unvermögen im Umgang mit Zahlen und Fakten stolz zu sein. Und den Mut haben, unsere Welt nicht so zu sehen, wie wir sie gerne hätten, sondern wie sie wirklich ist. Wir offerieren Rezepte gegen das sogenannte Innumeratentum.”

 

Warum dick nicht doof macht und Genmais nicht tötet beweist anhand haarsträubender Beispiele aus dem Reich der Statistik: Sinnvoller Umgang mit Information tut not. Analphabetismus im Umgang mit Wahrscheinlichkeiten und Risiken ist nicht angeboren, wir könn(t)en echte Information von Panikmache unterscheiden.

Frankfurt/Main (u.a.) Campus-Verl. 2014

Frankfurt/Main (u.a.) Campus-Verl. 2014

 

„Wenn ich eine ganze Flasche Rotkäppchen getrunken hatte, wurde meine Frau danach regelmäßig schwanger.” Hans Meyer, Fußballtrainer und Philosoph


„Die Statistiker, diese Freudeverderber, kann ich mir nur als selber freudlose Menschen vorstellen.” Peter Handke

Jede Geschichte ist besser als keine Geschichte

1. Oktober 2014 von Wolfgang Köhle

 

„Der Mensch ist das Tier, dem man die Lage erklären muss. Hebt es den Kopf und blickt über den Rand des Offensichtlichen, wird es von Unbehagen am Offenen bedrängt. Unbehagen ist die angemessene Antwort auf den Überschuss des Unerklärlichen vor dem Erschlossenen.”

 

Nicht das Wort war am Anfang, sondern das Unbehagen, das nach Worten sucht. Peter Sloterdijk findet und erfindet wieder Worte und Theorien. Z.B den 19. Zivilisationsdynamischen Hauptsatz: „Es werden ständig mehr soziale, technische, psychologische Probleme entdeckt und erfunden, als sich durch die Problemlösungsfähigkeit der lebenden Generation bewältigen lassen.”

 

Mehr über den beunruhigenden Überschuss an Wirklichkeit und Bemerkungen zum Zivilisationsprozess ist zu lesen in Die schrecklichen Kinder der Neuzeit.

Frankfurt/Main Suhrkamp 2014

Frankfurt/Main Suhrkamp 2014

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