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VLB BLOG - April 2016

 

Meinen täglichen Buchstaben gib mir heute

28. April 2016 von Wolfgang Köhle

 

Wie kein anderer entschlüsselt er und nimmt wahr, weil er behutsam und freundlich sucht.
„Du sollst freundlich suchen!”, lautet eines seiner 11 Gebote. Dafür bedarf es der Umwege: „Umwegen bringt Segen!” und: „Du sollst das tägliche Querfeldein nicht versäumen!”

Weisheit kommt nicht von Wissen. Vielleicht von Wahrnehmen?
Die Phänomene in Ruhe lassen, das ist seine Methode des Forschens. Er ist der Hüter des Unscheinbaren. Irgendwo in der Fremde herumwandern oder herumsitzen und sich alles genau ansehen – das ist der Peter-Handke-Modus, den er in seinen Notizbüchern vergegenwärtigt und bewahrt.

Wie halten all die Dummköpfe die eigene Blödheit bloß aus? Dank ihrer Blödheit.

Sich gesundlesen: Ideal der Wirklichkeit.

Wer innehaltend sich bemüht, der kann, von Zeit zu Zeit, sich selber erlösen.

Wenn die Experten den Mund aufmachen, ist es jedes Mal längst zu spät.

Wer die Orte nicht ehrt, ist der Worte nicht wert. Und umgekehrt.

Fortschritt im Altern: Ich weiß, wie dumm ich bin.

Angstmacher und Angstlöser: ein- und dieselbe Industrie.

Subjektives Gehör ist zeitweise mehr als absolutes.

Die ideale Autorität: die im rechten Moment, und nur da.

Mit Weisheit komme ich nicht weit, aber weiter.
Mit Weisheit komme ich weiter, aber nicht weit.

Halte nur inne, und so wird deine Seele gesund.

Er hat sich die Augen verdorben vom Nichtlesen.

Stufen: Zeithaben – Ruhigwerden – ruhig sein – Ruhe geben.

Salzburg (u.a.) Jung u. Jung 2016

Salzburg (u.a.) Jung u. Jung 2016

 

Laß die Leute reden, laß die Elemente machen, lies! Den poetischen Peter-Handke-Sound Vor der Baumschattenwand nachts

Enteselung

21. April 2016 von Wolfgang Köhle

 

Kann es ein Zufall sein, dass ein Anagramm von „ich lese” ausgerechnet „ich Esel” lautet?
Vom Lesen und Eseln kann der lesesüchtige und romanhungrige David Wagner Geschichten erzählen. Es ist leicht, sich zum Esel zu machen. Wie man das macht? Sich verlieben. Wie man das macht?

„Ich verliebe mich jeden Tag, immer wieder. Ich verliebe mich während es Lesens, verliebe mich in Bücher, ihre Helden und Anti-Helden, ihren Text, ihre Sprache, ihre Stimme. Lektüren werden zu Liebesgeschichten. Lesen, Lesen, Lesen durch den Tag, durch die Nacht und weiter, die Liebe kennt kein Maß. Verliebt möchte ich nicht mehr ich selbst, sondern die Geliebte, möchte der Text, möchte Sprache sein. Verliebte wollen ineinander verschlungen und beieinander sein.”

Aber Vorsicht: Im Gegensatz zum trost- und seelenlosen Nichtlesen kann übermäßige Lektüre zu Krankheiten und Ablenkung vom Wesentlichen führen. „Ich lese herum und weiß: Das ist auch nur ein großes Ablenkungsmanöver, eine Methode, nicht zu arbeiten und nicht über sich selbst und die Sinnlosigkeit allen Tuns und Treibens nachzudenken.”

Berlin Verbrecher-Verl. 2016

Berlin Verbrecher-Verl. 2016

 

Über Lesefreuden, Eselsohren, die Lust am Text, über Bücher und Serien.
Sich verlieben hilft. (Immer)

Memorabel

15. April 2016 von Wolfgang Köhle

 

Talk is cheap - es ist leicht, über nichts zu reden. Nicht so leicht ist es, über nichts zu schreiben. Sie aber könnte endlos über nichts schreiben, wenn sie nur nichts zu sagen hätte. Balladenhaft melancholisch beschreibt die Dichterin, Performance-Künstlerin, Malerin, Fotografin, durch die Verschmelzung von Rock’n’Roll und Dichtung berühmt gewordene Musikerin und leidenschaftliche Café-Besucherin Patti Smith ihr Leben.

„Wo ich aufwuchs, gab es keine Cafés. 1965 war ich von New Jersey nach New York gekommen, um mich ein bisschen umzusehen, und nichts schien mir romantischer, als in einem Café in Greenwich Village zu sitzen und Gedichte zu schreiben. Schließlich hatte ich den Mut, ins Caffè Dante zu gehen. Eine Mahlzeit konnte ich mir nicht leisten, deshalb trank ich nur Kaffee, aber das störte keinen. 1973 bezog ich in derselben Straße, nur zwei kurze Blocks vom Caffè Dante entfernt, ein luftiges weiß gestrichenes Zimmer mit einer Küche. Ich konnte das Treiben im Kettle of Fish beobachten, eine der Bars, in denen Jack Jerouac verkehrte. Um die Ecke war ein kleiner Stand, wo ein junger Marokkaner frische Brötchen, in Salz eingelegte Anchovis und frische Pfefferminze verkaufte. Ich stand früh auf und kaufte dort ein. Dann kochte ich Wasser, goss es in eine Teekanne mit Pfefferminze und trank den ganzen Nachmittag Tee, rauchte ein bisschen Haschisch und las Erzählungen von Mohammed Mrabet und Isabelle Eberhardt.”

Verlorene Dinge gewinnen an Bedeutung. M Train

Köln Kiepenheuer u. Witsch 2016

Köln Kiepenheuer u. Witsch 2016

Ohne Musik wäre das Leben ein Irrtum

12. April 2016 von Wolfgang Köhle

 

Seine Lebensrettung ist Musik. Genauer: Klassische Musik. Noch genauer: Johann Sebastian Bach. Megagenau: seine Chaconne für Violine solo. In d-Moll. Bach-Werke-Verzeichnis 1004. In der Bearbeitung für Klavier von Busoni. Ferruccio Dante Benvenuto Michelangelo Busoni. Im Alter von fünf Jahren wird der weltweit erfolgreiche Konzertpianist James Rhodes vom Turnlehrer fünf Jahre lang sexuell missbraucht. Zurück ins Leben führt ihn immer wieder der Piano-Bazillus.

„In mir war etwas zerfetzt worden, aber das hier machte es wieder heil. Mühelos und augenblicklich. Ich wusste, dass mein Leben genau daraus bestehen würde: aus Musik und noch mehr Musik. Mein Leben würde der Musik und dem Klavier geweiht sein.” Der Klavierhocker. Einer der wenigen Orte auf der Welt, an denen er sich wirklich geerdet fühlt.

Seit dem Missbrauch wird er von Brechreiz und tausenden Ängsten verfolgt. Neben Scham, Drogenabstürzen und Suizidversuchen gibt es außerdem noch Ticks entlang des Zwangsstörungs-/Tourettesnydrom-Spektrums.

Zürich Nagel u. Kimche 2016

Zürich Nagel u. Kimche 2016

„Bestimmte Dinge müssen auf eine ganz bestimmte Art angefasst werden, Rhythmen tadellos genau auf Wände, Tische oder Schenkel geklopft, Lichtschalter die korrekte Anzahl von Malen an- und ausgeknipst werden und so weiter und so fort. Gefährlich wird es, wenn ich vor Publikum spiele; wenn ein Teil meiner linken Hand die Klaviertasten berührt, dann muss ich die Berührung mit meiner rechten Hand exakt replizieren. Unbedingt. Und zwar schnell. Aber das ist eigentlich kein Gedanke, den ich gebrauchen kann, während ich versuche, mich an die dreißigtausend Noten einer Beethoven-Sonate zu erinnern. Auch werde ich während des Spielens an einer meiner Hände schnüffeln müssen. Werde versuchen, den Fingersatz, den ich mir in Hunderten von Stunden eingeprägt habe, aus dem Stegreif zu ändern, damit ich meine Hände einwärts drehen und an den Tastenkanten reiben kann, um dieses unbeschreibliche Juckgefühl zu stillen.”

 

Eine außergewöhnliche Autobiographie ist Der Klang der Wut. Wie die Musik mich am Leben hielt.

Lesen. Lesen. Besser lesen

8. April 2016 von Wolfgang Köhle

 

Gescheites und Dummes wird viel geredet. Und noch mehr gedacht. Auch beim Interpretieren literarischer Texte. Kann man einen literarischen Text kritisieren, wenn ja, wie?

„Was ist ein literarischer Text? Und was ist das in gewisser Weise geordnete Reden darüber, das wir ‚interpretieren’ nennen? Texte in literarische und nicht-literarische zu unterscheiden ist eine Konvention, und es ist eine Konvention, die sich auf nichts am Text, auf keine ‚Textmerkmale’ stützt; es gibt keine ‚Textmerkmale’, die alles von beispielsweise Celan, Homer, Mann, Shakespeare, Böll, Walser, Zeh, Goethe, Jandl, Horaz, Wieland, Kotzebue, Vischer, Fischer, Claudius, Schmidt, Weiss und Pastior in eine Klasse zu fassen erlaubten und gleichzeitig zu sagen ermöglichten: Diesen Leitartikel aber nicht. Ein literarischer Text ist ein Text, bei dem uns die Konvention erlaubt, Wert auf die Laut- oder Schriftgestalt seiner Wörter zu legen, also auf das, was definitionsgemäß sich der Ersetzung durch ein Synonym entzieht.”

Jan Philipp Reemtsma beherrscht die Kunst der Literaturinterpretation und die Analyse literarischer Texte. Kategorisieren, systematisieren, heraus-, hinein-, überinterpretieren.
Was spricht gegen die protestantische Art der Hermeneutik? Sich ohne Interpret besser an primäre als an sekundäre Quellen zu halten. Einfach selber lesen! Und denken! Natürlich.

München Beck 2016

München Beck 2016

Letters of note

5. April 2016 von Wolfgang Köhle

 

„Zweifel ist kein angenehmer Zustand, Gewissheit aber ist ein absurder”, schreibt Voltaire in einem Brief an Friedrich den Großen. Briefe, die die Welt bedeuten enthalten Briefe berühmter Persönlichkeiten. Beispielsweise schreibt der unnachahmliche Hunter S. Thompson, gerade zwanzig Jahre alt, seinem Freund Hume Logan, der ihn um Rat fürs Leben bat.

„Lieber Hume,
Du bittest um Rat: Ach, wie menschlich und wie überaus gefährlich, eben das zu tun! Denn einem Menschen Rat zu geben, der fragt, was er in seinem Leben anstellen soll, setzt etwas voraus, das der Egomanie sehr nahe kommt. Sich anzumaßen, einem Menschen auf das recht und höchste Ziel zu verweisen – mit einem zitternden Finger in die PASSENDE Richtung zu zeigen, ist etwas, das allein ein Narr sich zumuten würde.

München Heyne 2014

München Heyne 2014

Ich bin kein Narr, aber die Offenheit, in der du um meinen Rat fragst, nötigt mir Respekt ab. Wenn Du also darauf hörst, was ich Dir sage, vergiss bitte nicht, dass jeder Rat nur dem persönlichen Fazit des Menschen entstammen kann, der ihn gibt. Was dem einem als Wahrheit gilt, mag für den nächsten eine Katastrophe sein. Ich blicke nicht durch Deine Augen auf das Leben und Du nicht durch meine. Wollte ich versuchen, Dir einen persönlichen Rat zu geben, gliche das zu sehr der Bemühung des Blinden, einen Blinden zu führen…”

 

Apropos Rat:
Willst du (d)eine Liebe gewinnen, musst du mit einem Brief beginnen (und nicht mit einer SMS).

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