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VLB BLOG - November 2016

 

Eristik - die Kunst Zwietracht zu sähen

30. November 2016 von Wolfgang Köhle

 

Quotenlüsterne, Misstrauen säende Medien und Politiker „wetteifern darum, die Wunden des Exils der mit knapper Not Entkommenden und die nervenzerreißenden Gefahren der Flucht noch dadurch zu verschlimmern, dass sie die Flüchtlinge auf beleidigende Weise wie heiße Kartoffeln behandeln.” So schreibt Zygmunt Bauman, einer der bedeutendsten Soziologen der Gegenwart, in seinem Essay Die Angst vor den anderen : über Migration und Panikmache.

 

Am 4. Dezember wird bereits der vierte Versuch unternommen, das höchste Amt der Republik zu besetzen. Österreich muss sich entscheiden zwischen einem kooperativen und einem autoritären Führungsstil, zwischen Solidarität und Spaltung, zwischen internationaler und antieuropäischer Weltsicht, zwischen Sachlichkeit und Rechtspopulismus.

 

Der eine Kandidat ist tolerant, links-liberal, pluralistisch, gemäßigt. Er denkt nach, bevor er redet – mit ihm als Präsident wird es vorhersehbar langweilig.

Berlin Suhrkamp 2016

Berlin Suhrkamp 2016

 

Der andere Kandidat ist intolerant, rechts-konservativ, deutschnational, nicht gemäßigt. Er ist NLP-Rhetorik trickgeschult. Mit ihm als Präsident wird es vorhersehbar nicht langweilig.

 

Wollen wir ein populistisches, rechts-reaktionäres, EU- und fremdenfeindliches, unfreundliches, demokratieskeptisches, Zwietracht säendes Österreich?

Wir haben die Wahl.

Demokratiemüdigkeitssyndrom

24. November 2016 von Wolfgang Köhle

 

„Politiker sind Postenjäger, korrupte Parasiten, weltfremde Profiteure ohne Kontakt zum Leben einfacher Leute. Die da oben sind eine Elite, die von den Nöten der Bevölkerung keine Ahnung hat. Wir stehen auf der Seite des einfachen Volkes. Das sind populistische Schlagworte die wir von altbekannten Politikern hören wie Berlusconi, Geert Wilder, Le Pen, aber auch von Newcomern wie Peppe Grillo in Italien, Norbert Hofer in Österreich und von den Parteien wie Jobbik (Ungarn), den Wahren Finnen und Goldene Morgenröte (Griechenland). In der englischsprachigen Welt sahen wir den spektakulären Aufstieg von Figuren wie Nigel Farage und natürlich Donald Trump. Das Rezept ist ihrer Meinung relativ einfach: eine bessere, volksnähere Volksvertretung vorzugsweise erlangt durch eine höhere Stimmenzahl für die eigene populistische Partei. Sie profilieren sich als direkte Wortführer des Volkes, als Sprachrohr der niederen Instinkte, die Verkörperung des common sense. Anders als seine Kollegen behauptet er, nah beim Mann und der Frau auf der Straße zu stehen. Er sagt was sie denken, und tut, was getan werden muss. Der populistische Politiker ist eins mit dem Volk, so will es die Rhetorik.”

Göttingen Wallstein 2016

Göttingen Wallstein 2016

 

Vox populi, vox Rindvieh. Je verlogener das Marketing desto glaubwürdiger, je größer die Lüge desto mehr Gefolgschaft. „Die Lüge muss ungeheuerlich sein, dass man sie glaubt”, das wusste auch Joseph Goebbels. So wird Lüge zur Wahrheit und Wahrheit zur Lüge gemacht. „Ein Volk”, „Das Volksempfinden”, „den common sense” gibt es nicht. 

 

Ob Populismus das Heilmittel für die Krise der Demokratie ist, oder mit welchen Mitteln wir die Demokratie demokratisieren können erzählt uns Gegen Wahlen : warum Abstimmen nicht demokratisch ist.

Die Wahrheit liegt auf der Schwelle

21. November 2016 von Wolfgang Köhle

 

Querulanten, Außenseiter, Störenfriede, Randfiguren, Quertreiber und Revoluzzer fühlen sich am Rande und auf der Schwelle wohl. „Der puer robustus schlägt zu, eckt an, begehrt auf. Er spielt nicht mit, gibt nicht klein bei, handelt auf eigene Faust, verstößt gegen Regeln. Er ist unartig, unverschämt, unbequem, unbehaust, unbekümmert. Er wird gefürchtet, ausgegrenzt, abgestraft, aber auch bewundert und gefeiert. Der puer robustus – der kräftige Knabe, der starke Kerl, ist ein Störenfried. Der Störenfried stört den Frieden. Er ist also nicht gerne gesehen – es sei denn, er wendet sich gegen einen faulen, falschen Frieden. Dann dankt man ihm für den Bruch mit der bleiernen Zeit.”

 

Störenfriede sind großartig, solange wir sie nicht in der eigenen Familie, als Nachbarn oder als Arbeitskollegen kennenlernen müssen. Trotzdem ist ein Störenfried wohlgelittener als drei Nickköpfe (insbesondere wenn er jahrelange Depotprobleme löst). A priori gibt es keine Ordnung der Dinge. Universalquerulanten sind Teil der natürlichen Unordnung, sie kämpfen gegen das Chaos, den Perfektionismus der Ordnung an. „Da die Ordnung ohne einen Rand nicht sein kann, nimmt sie in Kauf, dass Menschen sich außerhalb dieses Bereiches, jenseits dieses Randes herumtreiben. Die Ordnung bringt also eigentlich den Störenfried hervor, den sie bekämpft.”

Berlin Suhrkamp 2016

Berlin Suhrkamp 2016

 

Ins Chaos hinabsteigen und sich dort wohlfühlen, warum nur als Jugendlicher? Mehr über die Komplizenschaft von Ordnung und Störung ist zu lesen in Puer robustus. Eine Philosophie des Störenfrieds von Dieter Thomä.

Übelstand

18. November 2016 von Wolfgang Köhle

 

„Die internationale Arbeitsteilung besteht darin, dass einige Länder sich im Gewinnen und andere im Verlieren spezialisieren.” Im Grunde wissen wir es alle: Uns geht es gut, weil es den meisten Menschen anderswo schlecht geht. Wir leben auf Kosten Dritter. Armut und Ungerechtigkeit lagern wir aus.

 

„Wir leben keineswegs über unsere Verhältnisse. Wir leben über die Verhältnisse anderer. Wir leben vor allen Dingen auch über die Verhältnisse anderer. Die Lebensverhältnisse der Externalisierungsgesellschaft kommen nur über die Lebensverhältnisse anderer zustande, ihre Privilegien lassen sich nur aufgrund dieses Ungleichverhältnisses aufrechterhalten. Den Leuten in der Externalisierungsgesellschaft geht es so gut, weil andere den Gürtel enger schnallen, weil anderswo Verzicht geübt wird – und zwar dauerhaft.”

 

Es ist der Teufel, der auf den großen Haufen scheißt. Wer von Wohlstand redet, darf von den damit verbundenen, ursächlich zusammenhängenden Nöten anderer Menschen nicht schweigen.

München Hanser Berlin 2016

München Hanser Berlin 2016

„Der moderne Kapitalismus operiert auf der Grundlage eines groß angelegten Arrangements der Auslagerung, die Kosten werden zu erheblichen Teilen externalisiert. Denn wo ungeheurer Wohlstand geschaffen wird, da entsteht auch das, was man nach John Ruskin ‚Übelstand’ nennen mag. Beide Phänomene, das gute Leben hier, das schlechte dort, sah er in einem inneren Zusammenhang zueinander stehen. Und er hatte recht: Kapitalistische Dynamik hat im Doppelsinne ihren Preis. Der Preis, den die einen erhalten, ist Wohlstand. Der Preis aber, den die andren zu zahlen haben, ist Übelstand.”

 

Neben uns die Sintflut analysiert die Abhängigkeits- und Ausbeutungsverhältnisse der globalisierten Wirtschaft.

Das Vorspiel wird oft überbewertet

14. November 2016 von Wolfgang Köhle

 

„Die Religion des Steins: Wir sprechen nicht über das Wetter, wir sind das Wetter. Um nicht zu sagen, wir erfinden unser eigenes Sonnensystem. Die Sonne geht am Nordbahnhof auf und im Tram zwischen zwei Pampelmusentitten wieder unter. Wir sind die Prinzen des Wolkenreiches der Gerissenheit, die Söhne der Erde und der Eisenbahn. Das hier ist die Neue Welt. Wenn du nicht frisst, wirst du gefressen. Wenn du nicht vernichtest, wirst du vernichtet. Das hier ist die Neue Welt. Hier gilt: Jeder für sich, Scheiße für alle. Das hier ist der Dschungel.”

 

Sich bereichern, egal wie. Alle treffen sich im Tram 83, dem einzigen Nachtclub in der heruntergekommenen afrikanischen Großstadt, um sich gegenseitig auszubeuten, um zu tanzen, zu vergessen, um Musik zu hören. „Das Saxofon wurde lauter, lauter, lauter und endete in einer seligen Stille. Das Schlagzeug füllte die Leere, bis ihm der Atem ausging. Dann schwollen sie gemeinsam an, das Schlagzeug verstummte, überließ den Raum dem Saxofon, das röchelte wie ein sterbender Hund. Dann schied auch das Saxofon in einem andächtigen Schluckauf dahin. Nun hatte die Trompete ihren Auftritt und stimmte eine Melodie an, die ganz Stadtland kannte. Das Saxofon erhob sich aus der Asche und versuchte den von der Trompete besetzten Raum zurückzuerobern. Das Schlagzeug stürzte sich in den Tanz der Raubtiere …”

Wien Zsolnay 2016

Wien Zsolnay 2016

 

Ein Ausflug in postkolonial rohe Sitten bietet Tram 83. Jazziger Roman von Mwanza Mujila Fiston, der seit 7 Jahren in Graz lebt. Aus dem Französischen von Katharina Meyer und Lena Müller.

Tierqual-Ökonomie

10. November 2016 von Wolfgang Köhle

 

Krankes System, kranke Tiere, kranke Verbraucher. Spuren kranker Tiere verbergen sich in fast allen Lebensmitteln, nicht nur in Wurst, Milch und Käse, auch in Backwaren, Schokolade und Pizza. Massenhafte Krankheiten gehören zum System, ohne Tierleid kein Gewinn. „Milchkühe leiden regelmäßig an Euterentzündungen, Stoffwechselstörungen und Klauenverletzungen. Es gibt eine Studie, die in Brandenburg durchgeführt wurde. Demnach sind nur zehn Prozent aller Milchkühe über die Dauer eines Jahres gesund. Sie sind auf enorm hohe Milchleistungen hin gezüchtet, erzeugen rund 7.500 Liter Milch pro Jahr. Dafür muss das Kuhherz jeden Tag mehr als 100.000 Liter Blut durch den Körper pumpen. Das ist der Kuhmarathon.”

 

Die Schweinereien sind systemimmanent. „Es gibt Schweinemäster, bei deren Tieren zu 50 bis 60 Prozent Lungenerkrankungen festgestellt wurden. Die Schweine stehen auf Betonspaltenböden über ihren eigenen Exkrementen und atmen scharfe Ammoniakdämpfe ein. Auch Leberdegenerationen, Parasiten und Klauenveränderungen durch die harten Betonböden werden oft gefunden.”

Frankfurt/Main Fischer S. 2016

Frankfurt/Main Fischer S. 2016

 

Bauern werden in den Ruin getrieben, wir Verbraucher werden getäuscht. Obwohl die Bedürfnisse der Nutztiere bekannt sind, fehlen der politische Wille und damit gesetzliche Standards. Wie unser Tierqual-System funktioniert zeigt Das Schweinesystem.

Eine Seefahrt, die ist lustig

07. November 2016 von Wolfgang Köhle

„Vom brasilianischen Schriftsteller Jorge Amado stammt der Spruch: Es ist unmöglich, mit allen Frauen auf der Welt zu schlafen, aber man muss es wenigstens versuchen. Während meiner Zeit auf See versuchte ich, diesen Rat zu beherzigen. Am Klischee, dass ein Seemann in jedem Hafen eine andere Braut hat, war zu meiner Zeit als Matrose einiges dran. Wir haben nichts ausgelassen.“

 

Wer beten lernen will, befahre das Meer. Auf die Schiffe und Segel setzen! Philosophen und Landratten zuerst. Eine ruhige See hat noch keinen guten See- und Ehemann hervorgebracht. 

 

La Paloma ohé!

Auf Matrosen, ohé!

Einmal muss es vorbei sein

Nur Erinnerung an Stunden der Liebe

Bleibt noch an Land zurück.

Seemanns Braut ist die See

Und nur ihr kann er treu sein …

 

„Einen Initiationsritus machte ich mit, gleich, als wir von einer Atlantikreise wieder in Hamburg einliefen: Ich ließ mich tätowieren. Heutzutage trägt jede Bürofachangestellte diverse Zeichnungen spazieren, wie es auch in Mode gekommen ist, Ringe durch alle möglichen Körperteile zu schießen. Früher war ein Tattoo gleichbedeutend mit einem Stigma, es war ein Stempel: “Asozial“ stand drauf. Zu meiner Zeit waren nur Seeleute angemalt, denn wir standen weit außerhalb der bürgerlichen Gesellschaft. Was wir hinter dem Horizont leisteten, bekam keiner mit, und wenn wir in einen Hafen einliefen und im Rotlichtviertel den aufgestauten Druck abließen, entsprach das so gar nicht den bürgerlichen Konventionen. Wir waren eine Art eigener Kaste.“ 

 

Sturmwarnung. Das aufregende Leben von Kapitän Schwandt.

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