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VLB BLOG - Mai 2017

 

Das Wirken der Dinge

29. Mai 2017 von Wolfgang Köhle

 

„Kennst du den Weg? Ihn nicht zu kennen, ist tiefgründig. Ihn zu kennen, ist Mangel an Tiefe. Ihn nicht zu kennen, heißt in ihm verweilen. Ihn zu kennen, heißt außer ihm sein.”

 

Ein Philosoph ist ein selbstständig denkender Mensch, der sich der Fallen der Sprache bewusst ist. Sein Geist verwirrt sich und andere. Ein Weiser widersteht den Verführungen der Sprache. Er verweilt im Unbestimmten, er ist ohne ein Wort. Worte legen fest. Ein Weiser ist auf dem Weg. Wer das Dao kennt, spricht nicht, wer spricht, kennt ihn nicht.

 

„Begnüge dich damit, nicht einzugreifen, und dann werden sich die Dinge von selbst verwandeln. Lasse Leib und Glieder, verzichte auf Hören und Sehen, lasse dich und die Dinge fahren und gehe auf im Unterschiedslosen. Löse dich von allen Vorsätzen, ja vom Geiste selbst, sei wie geistesverlassen. Dann werden alle Erscheinungen in ihren Grund zurückkehren, ohne dass du es merkst. Bleibe in diesem Zustand der Verwirrung, verlasse ihn nicht bis ans Ende deiner Tage. Wenn du versuchst, ihn zu verstehen, wirst du aus ihm heraustreten. Frage nicht nach seinem Namen, kümmere dich nicht darum, worin er besteht, und dann wird alles von selbst daraus entstehen.”

Berlin Matthes und Seitz 2015

Berlin Matthes und Seitz 2015

 

Wer das Dao, wer Zhuangzi verstehen lernen will, liest mit dem weisen Sinologen Jean François Billeter das Wirken der Dinge.

Kunst und Diktatur

24. Mai 2017 von Wolfgang Köhle

 

„Seit einigen Jahren brachte er zum neuen Jahr immer denselben Trinkspruch aus. 364 Tage im Jahr musste sich das Land die ständige irrsinnige Beteuerung der Macht anhören, es stehe alles zum Besten in der besten aller möglichen Welten, das Paradies sei erschaffen oder werde sehr bald erschaffen sein, es müsste nur noch ein wenig mehr gehobelt werden und es müssten noch eine Million Späne mehr fliegen und ein paar Hunderttausend Saboteure mehr erschossen werden. Es würden glücklichere Zeiten kommen – wenn sie nicht schon gekommen seien. Und am 365. Tag erhob er dann sein Glas und sagte in seinem feierlichsten Ton: ‚Darauf wollen wir trinken – dass es nicht noch besser wird!’ ”

 

Wo gehobelt wird, da fallen Späne. Die Wahrheit auszusprechen, war in der Tyrannei der Sowjetunion lebensgefährlich. In Stalins Russland wurden Millionen „sozial gefährliche und schädliche” Sowjetbürger verhaftet, eingesperrt und im Zwangsarbeiterlager getötet. Kein Parteisoldat war der Komponist Dimitri Schostakowitsch, er eignete sich nicht als Speichellecker und wusste nicht, wann man Freunde verraten musste. Von Natur aus pessimistisch, neurotisch und vom System der Säuberung verfolgt, war er ernsthaft zum Selbstmord bereit, ohne zur Tat zu schreiten.

Der Lärm der Zeit ist der neue Künstlerroman von Julian Barnes.

Köln Kiepenheuer & Witsch 2017

Köln Kiepenheuer & Witsch 2017

Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man zeichnen

18. Mai 2017 von Wolfgang Köhle

 

Vereinfachte Biographie:

Rudi Klein 

Geboren 1951

Zeichnet und schreibt für Zeitungen, Magazine

Schuhgröße 52

 

„Es gibt große und kleine Arschlöcher. Man bemüht sich ein kleines zu sein.” So die Welteinteilung des „Lochgott”-Schöpfers Rudi Klein. Der Comiczeichner und Cartoonist veröffentlicht u. a. im Falter, Standard, Profil, Trend, Titanic, der Süddeutschen Zeitung und der Zeit. Er ist bekannt für seine spitze Feder und für die Illustrationen der Absurditäten des Alltags und der Tagespolitik. Mit seinen Kleinteilen bemüht er sich um die Vereinfachung einer nicht unkomplizierten Welt. Nun gewährt er anlässlich seines 60. Geburtstags endlich einen Überblick über das Schaffen des Meisters. Alles Gute!

Worauf es im Leben ankommt

12. Mai 2017 von Wolfgang Köhle

 

Die schwierigste Übung des Lebens ist das endgültige Loslassen. Mit 102 Jahren weiß sie, dass es Energieverschwendung ist, sich gegen den Tod zu wehren, aber dieses lange, lange Warten. Und ein Röhrl Veronal schlucken will sie auch nicht. Einmal wollte sie sich umbringen, wegen dem Blödesten überhaupt, wegen einem Mann, an den sie sich nicht einmal mehr genau erinnern kann, ein Italiener war’s, vielleicht. Sie lässt sich von nichts und niemandem mehr in eine Sorge drängen. „Ich habe keine Angst mehr, das zahlt sich nicht mehr aus.” Zum Altwerden braucht man Disziplin. „Richtig schlamperte und unachtsame Leute werden nicht sehr alt.” Alles, was nicht vor oder nach der Zeit sondern rechtzeitig geschieht, ist eine Gnade. Aber wie aus seinem Körper verschwinden, wie den Ausgang für die Seele finden?

 

„Es gibt einen Durchschlupf. In mir. Man zieht sich ganz in sich zurück und sammelt sich vor dem Durchschlupf.

Wahrscheinlich. Man kann ihn benützen oder nicht. Aber es gibt ihn, und ich weiß es. Ich habe ihn durch nicht suchen gefunden. Er war plötzlich da. Wenn man den Durchschlupf nicht benützt, muss man anderswo durchbrechen. Das ist nicht so sanft und sehr unangenehm. Ich habe den Verdacht, man bestimmt selbst, ob das Übersiedeln schwer oder leicht ist.

Wien Paul Zsolnay Verlag [2017]

Wien Paul Zsolnay Verlag [2017]

Es gibt jetzt keine Eile mehr. Ich weiß, es gibt ihn, und ich weiß, wo er ist, ich bin ganz ruhig. Überhaupt keine Ängste.

Nein, den Tod gibt es so nicht. Er war ein falsches Bild, Er ist nur das Wort für den Durchschlupf benützen. Das ist dann der gute Tod. Das erstaunt mich jetzt doch. Man muss aufpassen. Wenn man durch ist, ist man draußen, dann kann man nicht reversieren. Ich streife um ihn herum. Ich bin sehr schwach und müde. So kann ich nicht durch den Durchschlupf. Etwas an Kraft braucht man dafür schon. Es bedarf für das Aus-Dem-Körper-Gehen einer letzten Anstrengung.”

 

Uhren gibt es nicht mehr. André Heller im Gespräch mit seiner 102 jährigen Mami.

an-, quer-, durch-, aus-, über-, fertig lesen

9. Mai 2017 von Wolfgang Köhle

 

Eselsohren, Tintenfraß, Stockflecken, Wasserschäden, Verknitterung, Ausrisse oder gar Textverlust sind des Bibliophilen Feind. Hat es ein sammelnder Bücherliebhaber nicht leicht, ist ein lesender Bibliophiler verloren. Unrettbar sind wahnbehaftete Bibliomaniker mit übersteigerter Leidenschaft für Bücher. Leseratten und Bücherwürmer also.

 

„Mir ging es um die so selbstverständliche wie bemerkenswerte Tatsache, dass ich nun schon mein so gut wie ganzes Leben, d.h. ein halbes Jahrhundert lang, mit nichts auch nur annähernd so intensiv, ja leidenschaftlich zugange bin wie mit Büchern. Ich rede von den unzählig vielen gebundenen Seiten, die ich täglich sichte, sortiere, an-, quer-, durch-, aus- und fertig lese. Ich rede davon, dass diese handwerkliche ebenso wie bürokratische wie intellektuelle Arbeit den weitaus größten Teil meiner Lebenszeit einnimmt, ich vermute, mehr als der Schlaf, und dass ich davon nicht lassen kann, im Urlaub nicht und nicht auf Reisen, und das Ende des Tages ist ein sachte sinkendes Buch, das sich der eigenen Brust nähert.”

Köln Kiepenheuer & Witsch 2010

Köln Kiepenheuer & Witsch 2010

 

Kann man Bücher lieben? Dieser Frage stellt sich der lesesüchtige Literaturkritiker Hubert Winkels. Wie man mit Büchern fertig wird, mit ihnen wohnt und lebt, wie man sie liebt, beschreibt der Vorsitzende des Ingeborg-Bachmann-Preises in seinen persönlichen Erfahrungen mit Schriftstellern, Literaturpreisen, Jurys, Bücherordnungen und Kollegen.

Wir werden Götter

5. Mai 2017 von Wolfgang Köhle

 

Die Nachrichtenlage lässt den Schluss zu, dass die Evolution des Menschen endet, bevor sie fertig ist. Nicht dieser Ansicht des Mangels an Zukunft unserer Gattung ist der „Big-History”-Historiker Yuval Noah Harari, Erfolsautor von Eine kurze Geschichte der Menschheit. Er glaubt, dass der Mensch durch neue Technologien bald die nächste Evolutionsstufe erreicht. Homo Deus, der mit gottgleichen Fähigkeiten ausgestattete Mensch, wird den homo sapiens verdrängen. Nicht in ein paar Jahrhunderten, in wenigen Jahrzehnten. Die drei Wege, wie sich der Mensch zum Homo Deus „upgraden” kann sind: Biotechnologie (künstliche Gen-Manipulation und Selektion), Cyborgs (organisches Leben wird mit anorganischen Apparaten kombiniert), anorganisches Leben (intelligente Software ersetzt neuronale Netzwerke). Der Übergang von einem homozentrischen zu einem datazentrischen Weltbild zum Beispiel wird – Supermenschen hin oder her – neue Probleme gebären. „Die Welt verändert sich schneller als je zuvor, wir werden von unglaublichen Mengen an Daten, Ideen, Versprechungen und Bedrohungen überschwemmt. Die Menschen überlassen nicht zuletzt deshalb, weil sie nicht mehr mit der Datenflut zurechtkommen, die Macht dem freien Markt, der Weisheit der Crowd und externen Algorithmen. In der Vergangenheit funktionierte Zensur dadurch, dass der Informationsfluss blockiert wurde. Im 21. Jahrhundert bedeutet Zensur, die Menschen mit irrelevanten Informationen zu überschwemmen. Früher bedeutete Macht, Zugang zu Daten zu haben. Heute bedeutet Macht zu wissen, was man ignorieren kann.”

 

Homo Deus, eine Geschichte von Morgen

München C.H. Beck [2017]

München C.H. Beck [2017]

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