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St. Gallusstift in Bregenz


Foto © Vorarlberger Landesbibliothek

Foto © Vorarlberger Landesbibliothek


Am 28. April 1906 unterzeichnen Augustin Rothenflue, Abt des eidgenössischen Benediktinerkonvents Beinwil-Mariastein, und Adele Fitz Gibbon, geborene Baronin von Poellnitz, einen Revers, der einen Verkauf der Liegenschaft am Fuße des Gebhardsberg um 75.000 Gulden (~750.000 Euro) fixiert, sobald alle erforderlichen Genehmigungen vorliegen.

Vorgeschichte

Seit seiner Wahl zum Abt im Jahre 1905 war Augustin III. Rothenflue (1866-1919) auf der Suche nach einer längerfristigen Niederlassung seines Konvents in der Nähe der Schweizer Grenze, galt es doch, die nach wie vor erlaubte Marienwallfahrt in Mariastein, die sieben Klosterpfarreien im Kanton Solothurn und das eben gegründete Kollegium Karl Borromäus, ein Gymnasium mit Internat in Altdorf im Kanton Uri, zu betreuen. Vor Ort war dies nur bedingt möglich, denn im Verlauf des schweizerischen Kulturkampfes war das im Jahre 1085 in Beinwil im Jura gegründete und 1648 nach Mariastein bei Basel verlegte Benediktinerkloster im Herbst 1874 vom Parlament des Kantons Solothurn und mit Zustimmung der Solothurner Bevölkerung säkularisiert worden. 

Im Frühjahr 1875 erfolgte dann die gewaltsame Ausweisung der Mönche aus der Schweiz, die sich daraufhin in der grenznahen französischen Kleinstadt Delle im Département Territoire de Belfort niederließen und die im Herbst eröffnete Ecole libre Saint-Benoît zu einer klösterlichen Anlage erweiterten. Im Kloster Mariastein durften nur zwei Patres verbleiben, um den erwähnten Verpflichtungen nachzukommen.

Das Exil in Delle währte jedoch nicht lange. Im Zuge der französischen Kongregationsgesetze von 1901 musste der Konvent das Land verlassen, um nicht aufgelöst zu werden. Nachdem die Bemühungen fehlschlugen, im Elsass oder im Süden Deutschlands eine Bleibe zu finden, gelang es im Oktober 1902, leerstehende Gebäude auf dem Dürrnberg bei Hallein zu erwerben. Dieses Anwesen hatte bereits den Redemptoristen aus Bayern während deren Kulturkampfes als Exil gedient.

Alsbald erwies sich die große Entfernung zu Mariastein als Last. Zur Erfüllung der vielfältigen Aufgaben in der Schweiz war der Konvent auf Nachwuchs aus dem Ursprungsland angewiesen. Da die erhoffte Rückkehr nach Delle aus politischen Gründen unmöglich blieb und eine Klostergründung in Süddeutschland ausländischen Orden untersagt war, suchte Abt Rothenflue nach einem geeigneten Ort im Fürstentum Liechtenstein. Doch hier versagte der Bischof von Chur seine Zustimmung. So blieb allein Vorarlberg übrig.

Mit Hilfe des Priester Dr. Josef Häusle, Gründer des Antoniushauses, des Instituts St. Josef und weiterer Schulen in Feldkirch, wurden Standorte in Altenstadt, Bludenz, Feldkirch, Frastanz, Götzis, Jagdberg, Lustenau und Viktorsberg in Erwägung gezogen, ehe sich der Blick auf das Schlösschen Babenwohl am Fuße des Gebhardsberges in Bregenz richtete. Das in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts errichtete und von Baron Ernst von Poellnitz 1854/55 zu einem herrschaftlichen Anwesen umgebaute Gebäude stand mit seinen anliegenden Gütern gerade zum Verkauf.

Der anfangs erwähnten Kaufvereinbarung mit Adele Fitz Gibbon, der jüngsten Tochter des im Dezember 1900 im Schlösschen Babenwohl verstorbenen Barons Ernst von Poellnitz, vom 28. April 1906 waren längere Verhandlungen vor allem wegen des Preises vorangegangen. Nun galt es, die erforderlichen kirchlichen und staatlichen Genehmigungen einzuholen. Gegen die mit 1. Mai datierte Einwilligung des Fürstbischofs von Brixen, Josef Altenweisel, erfolgte prompt der Einspruch seitens der seit 1854 in Bregenz ansässigen Zisterzienserabtei Wettingen-Mehrerau. Die Zusicherung der Benediktiner, in Bregenz keine äußere pastorale Tätigkeit zu entfalten, ließ den Fürstbischof bei seiner Entscheidung bleiben.

Zwei Monate später, am 30. Juni 1906, stellte die Statthalterei für Tirol und Vorarlberg dem Kloster die Bewilligung zur Niederlassung aus, allerdings mit der Auflage, dass alle dauerhaft in Bregenz verweilenden Konventualen die österreichische Staatsbürgerschaft besitzen oder annehmen müssen. Nachdem Anfang Juli auch die römische Kurie ihre Einwilligung kundtat, konnte am 3. August 1906 der Kaufvertrag unterzeichnet werden.

In aller Eile wurde das Schlösschen Babenwohl, das in seiner Gebäudestruktur für die Unterbringung einer Klostergemeinschaft nur bedingt geeignet war, notdürftig adaptiert. Bereits Anfang Oktober 1906 übersiedelte der gesamte Benediktinerkonvent von Dürrnberg nach Bregenz in sein neues Kloster. In Gedenken an den hl. Gallus, der in den Jahren 610 bis 612 gemeinsam mit dem hl. Kolumban in Bregenz missionarisch tätig gewesen war, erhielt es den Namen „Benediktinerstift St. Gallus“.

Bauliche Erweiterungen

Alsbald entfaltete Abt Augustin Rothenflue eine rege Bautätigkeit. Er beauftragte den Freiburger Architekten Lukas Geis (1854-1935) mit der Planung eines stattlichen Konventgebäudes, das sich – durch einen Gang verbunden – in nordöstlicher Richtung an den bestehenden Bau anschloss.

Der 1906/07 errichtete Haupttrakt des geplanten Klosterkomplexes enthielt im Erdgeschoss rechter Hand – dort, wo sich heute der Informationsbereich befindet – das Refektorium. Der breite, säulengeschmückte Gang auf der dem Bodensee zugewandten Seite wurde provisorisch als Kapelle genutzt, die öffentlich zugänglich war. In den Obergeschossen befanden sich die Zellen der Konventualen, während der Abt den zweiten Stock des Schlösschens Babenwohl bewohnte. Dort wurden im Erdgeschoss auch ein Gästezimmer und ein Besuchsraum eingerichtet.

Bereits in den Jahren 1910/11 erfolgte die nächste Bauetappe. Im rechten Winkel zum Konventbau entstand, im klassizistischen Stil gehalten, der sogenannte Bibliotheksflügel, der neben der Stiftsbibliothek auch die Sakristei und direkt darüber den Kapitelsaal sowie weitere Mönchszellen enthielt. In diese Bauphase wurde zudem der unmittelbar anschließende Chorraum der projektierten Stiftskirche einbezogen.

Die Pläne für den Nordflügel sowie die Stiftskirche stammen von dem in Rapperswil geborenen Architekten Adolf Gaudy (1872-1956), dessen Lebenswerk über einhundert Kirchen listet, die er entweder erbaute oder sanierte. Es heißt, er sei „einer der hervorragendsten Künstler im Baufach, welche die Schweiz hervorgebracht“ habe.
 

Bau der Stiftskirche

Bau der Stiftskirche

Mit dem Bau des kuppelgekrönten Kirchenschiffs wurde zu Ostern (Mitte April) 1914 begonnen. Die Bauausführung stand unter der Leitung des Bregenzer Architekten und Stadtrates Otto Mallaun (1874-1957), der sich mit dem Bau der Löwenapotheke (1913) und später des Nationalbankgebäudes in der Anton-Schneider-Straße (1925) nicht nur in seiner Heimatstadt einen Namen gemacht hat. 1915 konnte der Kirchenbau abgeschlossen werden. Aufgrund des zwischenzeitlich ausgebrochenen Ersten Weltkriegs wurde die Kirche am 3. Februar 1916 „in aller Stille“ eingeweiht. Die Stiftskirche ist – wie auch der Bibliothekstrakt – im neoklassizistischen Stil gehalten und weist in ihrer Ornamentik barockisierende Elemente auf.

Entwicklung des Konvents

Unter Abt Augustin Rothenflue nahm das Kloster einen bedeutsamen Aufschwung. Die Nähe zur Schweizer Grenze erfüllte die Hoffnung, den Nachwuchs zu fördern. Auch aus Deutschland und Österreich waren Neueintritte zu verzeichnen. Die Anzahl der Konventualen stieg kontinuierlich und erreichte 1940 mit 70 Ordensmitgliedern (Priester und Laienbrüder) eine bislang nie erreichte Größe in der mehr als 850-jährigen Geschichte des Konvents. Die Verpflichtungen in Mariastein und im Gymnasium von Altdorf forderten viele Kräfte, etliche der Konventualen wirkten deshalb in der Schweiz.

Abt Augustin Borer (1878–1959), der Rothenflue nach dessen Tod 1919 nachfolgte, widmete sich verstärkt der materiellen Existenzgrundlage des Gallusstiftes. Er erwarb die Höfe Kustersberg (Kennelbach) und Lerchenau (Lauterach), auch ließ er das Gelände rund um das Klostergebäude landwirtschaftlich nutzen. Mit dem Verkauf von Gemüse und Blumen konnten willkommene Einnahmen erzielt werden.

Aufhebung des Klosters

Nur kurze Zeit nach dem Anschluss Österreichs an Hitler-Deutschland wurde dem blühenden Klosterleben ein abruptes Ende bereitet. Am Morgen des 2. Jänners 1941 beschlagnahmte die Gestapo das Gebäude. Den anwesenden Mönchen blieben knapp zwölf Stunden, um das Haus zu verlassen. Auf den Weg in ihr altes Kloster in Mariastein, das ihnen seitens des Schweizer Staates als Asyl angeboten wurde, durften sie nur einige wenige Habseligkeiten und nicht mehr als zehn Reichsmark mitnehmen. 

Als gegen Abend die letzten Patres das Gallusstift verlassen hatten, vergnügten sich mit der Räumung betraute NS-Leute in der Stiftskirche in einer ersten nächtlichen „Feier“. Es dauerte nicht lange bis Gerüchte von „wilden Orgien“ kursierten, die Mitglieder der SA und der Gestapo des Öfteren im Kloster veranstalten würden.

Bestätigen lässt sich anhand von Verhörprotokollen, die nach dem Krieg aufgenommen wurden, dass es zur Zerstörung von Altären und Bildern sowie zur Plünderung des Kloster- und Kircheninventars kam. Etliche Personen, darunter angesehene Bregenzer Bürgerinnen und Bürger, haben sich durch die Mitnahme von Kostbarkeiten, Mobiliar oder Teppichen persönlich bereichert.

Rückkehr

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs verblieb der Konvent in der Schweiz, lediglich ein Pater kehrte nach Bregenz zurück und kümmerte sich um die Verwaltung des Gebäudes. Von Ende April 1946 bis zum Abschluss des Schuljahres 1983 diente der Mitteltrakt des Gallusstifts der Unterbringung eines Mädchengymnasiums, da eine Rückkehr der Schweizer Mönche aus verschiedenen Gründen nicht mehr in Frage kam. Nachdem das Kloster Mariastein zu Beginn der 1970er Jahre staatsrechtlich wiederhergestellt wurde, verlor das „Asylkloster“ St. Gallusstift in Bregenz für den Konvent an Bedeutung. Im September 1981 gelang es dem Land Vorarlberg, den Gebäudekomplex zu erwerben, zu Pfingsten 1982 fand in Mariastein die feierliche Übergabe statt.
 

Umbau Kuppelsaal 1992

Umbau Kuppelsaal 1992

Im darauffolgenden Jahr begann dessen Sanierung und Adaptierung für die neue Verwendung als Vorarlberger Landesbibliothek. Nach Abschluss der ersten beiden Bauetappen konnte die Bibliothek am 27. Juni 1986 offiziell eröffnet werden. Sieben Jahre später, am 30. April 1993, wurden die Umbauarbeiten mit der Einweihung des Kuppelsaales, der zu einem Bibliothekssaal adaptierten ehemaligen Stiftskirche, abgeschlossen.

Kuppelsaal der Vorarlberger Landesbibliothek Foto © Vorarlberger Landesbibliothek

Kuppelsaal der Vorarlberger Landesbibliothek Foto © Vorarlberger Landesbibliothek

Literatur

Carl Eberle, Das Kloster Sankt Gallus in Bregenz. Bregenz 1915.

Vinzenz Großheutschi, Das Kloster St. Gallus in Bregenz. Bregenz 1931.

Lukas Schenker, Exil und Rückkehr des Mariasteiner Konventes 1874-1981. Mariastein 1998.

Eberhard Tiefenthaler, Modernes Informationszentrum im alten Gemäuer. Planung – Umbau – Revitalisierung, in: Eberhard Tiefenthaler(Hg.), Aufbau, Organisation und Funktion eines neuen Informationszentrums am Beispiel der Vorarlberger Landesbibliothek. München 1990 (Bibliotheksstudien 5), S. 31-69.

Eberhard Tiefenthaler, Vorarlberger Landesbibliothek Bregenz. Ehemaliges Benediktinerkloster Sankt Gallusstift. München 1993.

Andreas Ulmer, Die ehemalige Sankt Gallensteinkirche und das heutige Sankt Gallusstift in Bregenz. Historisch-topographische Studie. Dornbirn [1922] (Veröffentlichungen des Vereins für christliche Kunst und Wissenschaft in Vorarlberg und dem Westallgäu 11).

Andreas Ulmer, Die Burgen und Edelsitze Vorarlbergs und Liechtensteins. Historisch und topographisch beschrieben. Dornbirn 1925.

Vorarlberger Landesbibliothek. Festschrift zur Eröffnung am 27. Juni 1986. Lustenau 1986.

Vorarlberger Landesbibliothek, St. Gallusstift, Bregenz. Eröffnung des Kuppelsaales (ehemalige Stiftskirche) am 30. April 1993. Lochau 1993.

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