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Januar/Februar/März/April 2018 Sondersammlungen

Das Buch von Lindisfarne

 

Das Evangeliar von Lindisfarne entstand vermutlich in dem von schottischen Mönchen im Jahre 635 gegründeten Kloster auf der gleichnamigen Gezeiteninsel vor der Nordostküste Englands. Bereits unter den ersten Bischöfen Aidan (Apostel von Northumbria) und Cuthbert erblühte die Abtei, die Teil der klösterlichen Gemeinschaft des irischen Heiligen Kolumban war, und wurde zu einem Zentrum der keltischen Klosterkultur. Eine besondere Stellung nahm dabei die Schreibschule ein, in der im ausgehenden 7. oder frühen 8. Jahrhundert das Evangelienbuch in „einer sehr wertvollen, reinen Frühform der Vulgata des hl. Hieronymus” entstanden sein dürfte.

Traditionell wird das Evangeliar mit dem Kult des hl. Cuthbert in Verbindung gebracht, der 687 als Bischof der Lindisfarner Mönchsgemeinschaft verstarb. Neuere Forschungen vertreten die Ansicht, dass Eadfrith, von 698 bis 721 Bischof von Lindisfarne, den Text nach 710 von einer italienischen Vorlage abgeschrieben und auch illuminiert hat. Sein Nachfolger als Bischof, Aethilwald, soll das unvollendet gebliebene Werk eingebunden und ein Einsiedler namens Billfrith den Metallschmuck ausgeführt haben. Darauf weist jedenfalls das Kolophon der als Vervollständigung des Buches gedachten Ergänzungen (Interlinearglossen) durch Aldred den Schreiber in der Mitte des 10. Jahrhunderts hin – übrigens die älteste bekannte Übersetzung des Evangeliums in die englische Sprache.

Vor dem 17. Jahrhundert gibt es nur wenige Hinweise auf die Lokalisierung beziehungsweise den Verbleib der Handschrift. Wahrscheinlich wurde sie im 9. Jahrhundert auf der Flucht vor den Wikingern nach Chester-le-Street und Durheim gebracht, wo sich allmählich die Spur verliert. Anfang des 17. Jahrhunderts taucht das Evangeliar in London auf, geht von einem gewissen Robert Bowyer an den Bibliophilen Robert Bruce Cotton, dessen Nachfahren die gesamte Cotton Library der englischen Nation vermachen. Das Buch von Lindisfarne gehört zu den Gründungbeständen des 1753 eingerichteten British Museum und befindet sich heute in der British Library. Es zählt zu den bedeutendsten Werken menschlichen Kulturschaffens.

 

Die Lukas-Miniatur, fol. 137v

Frühe Evangeliare sind mitunter sehr kunstvoll gestaltet und mit wunderbaren Miniaturen versehen. Diese befinden sich häufig am Beginn des jeweiligen Evangeliums und stellen den entsprechenden Evangelisten dar. Sie zählen zu den frühesten und hochwertigsten Zeugnissen der spätantiken und frühmittelalterlichen Buchmalerei. Beispiele dafür sind etwa der Codex Aureus aus Echternach, der Hitda-Codex, das Lorscher Evangeliar oder das Buch von Lindisfarne.

Der hier gezeigte Evangelist Lukas (O AGIOS LUCAS – oh heiliger Lukas) gilt als Verfasser der traditionell im christlichen Weihnachtsgottesdienst verlesenen Erzählung zur Geburt von Jesus von Nazareth (Lk 2,1-20). Er ist wie die anderen drei Evangelisten als Schreiber dargestellt, der sich anschickt, einen Text auf einer Buchrolle festzuhalten. Seine Feder hinterlässt jedoch keine Schrift auf dem Beschreibstoff, Schreibpult und Tintenhorn fehlen gänzlich.

Die Darstellung des Lukas mit lockiger Haartracht und Bart entspricht – ebenso wie die des Matthäus – dem byzantinischen Typus, während Markus und Johannes der westlichen Tradition folgend als junge, glattrasierte Römer erscheinen. Lukas trägt ein purpurnes Pallium, ein antikes Kleidungsstück, das die Funktion eines Mantels erfüllte, darunter eine orangefarbene Tunika. Über seinem goldglänzenden Nimbus schwebt quasi sein Attribut, der geflügelte Stier. Dieser ist hier in der Form eines Kalbes dargestellt, worauf auch die Beschriftung „imago uituli” (Bild des Kalbes) hinweist.
 

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