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VLB BLOG - Juni 2015

 

Lebenskrise

30. Juni 2015 von Wolfgang Köhle

 

„Er war ein kräftiger junger Mann, fünfundzwanzig Jahre alt, empfindsam, ein Sozialist und Asthmatiker, schnell zu begeistern und leicht zu enttäuschen. Breite Schultern, kurzer, dicker Hals, genau wie seine Finger: dick und kurz… Er konnte sich von einer Minute auf die andere für neue Einfälle begeistern, vorausgesetzt, sie erschienen scharfsinnig und irgendwie revolutionär. Er neigte jedoch auch dazu, schnell zu ermüden. Tränen stiegen ihm in die Augen, und das verwirrte und beschämte ihn. … Damals war es üblich, Weinen für eine Sache der Frauen zu halten. Ein tränenüberströmter Mann rief Widerwillen hervor und sogar leichten Abscheu, ähnlich einer Frau, auf deren Kinn ein Bart spross. Schmuel schämte sich sehr wegen dieser Schwäche und gab sich die größte Mühe, sich zu beherrschen, doch es gelang ihm nicht.”

Schmuel Asch bricht sein Studium ab, seine Freundin heiratet einen anderen. Er nimmt eine Stelle an, die ihn verpflichtet, mit einem meinungsstarken alten Mann namens Gerschom Wald zu diskutieren. Über die Ideale des Zionismus, über die jüdisch-arabischen Konflikte, über die Liebe.

Judas, der neue Roman von Amos Oz

Berlin Suhrkamp 2015

Berlin Suhrkamp 2015

Dolce vita

25. Juni 2015 von Wolfgang Köhle

 

Urlaub braucht nur, wer ein falsches Leben führt. Gegen eine Reise aber ist nichts einzuwenden, wären da nicht die Touristen (das sind immer die anderen). Man mache es sich also abseits von Touristenpfaden mit einer Flasche Wein gemütlich und schmökere in Kochbüchern. So schaut man in die Kochtöpfe kleiner Restaurants, genießt köstliche Rezepte, süße Speisen, und lernt auf kulinarischen Streifzügen Land und Leute kennen. Man entscheide sich für ein traditionelles Gericht und lade ein paar FreundInnen ein, z.B. Beispiel nach Spanien. Man betrinke sich, selbstredend nur in homöopathischen Dosen, denn nach dem Kulinarium gibt es einen leichten Eiscremecocktail, ein Sgroppino für 4 Personen aus der Küche Venedigs.

Zitroneneis (selbstgemacht natürlich) 8 Kugeln
4 El Wodka
200 ml Prosecco

München Knesebeck 2015

München Knesebeck 2015

 

Zutaten im Mixer kurz schaumig und glatt rühren. Den Cocktail in große gekühlte Weingläser füllen und servieren.

PS. Sgroppino kommt von desgropante,  „Knoten auflösend”, regt also (nicht nur) die Verdauung an.

Binnenpenis

24. Juni 2015 von Wolfgang Köhle

 

„Sicher haben Sie als Mann noch nicht über die Möglichkeit nachgedacht, dass Ihr Penis möglicherweise ein soziales Konstrukt ist, das Ihnen aufgrund besagter Zwangsheteronormativität vorgaukelt, tatsächlich männlicher Natur zu sein. Alles nur Konstruktion! Mein lieber Mann, was hätten Sie doch für eine sensible Frau werden können, hätte man Sie nicht von klein auf in Ihrem geschlechtlichem Spektrum eingeschränkt! Ihre Mama hat Ihnen gesagt, Sie seien ein Junge, und Sie haben womöglich auch noch an Karneval ein Cowboykostüm inklusive Revolver bekommen?”

Wer redet noch von sozialer Konstruktion von Frau und Mann, Transidentität ist in Mode! Kann sich schon jemand/In/Es einfühlsam und korrekt in der Legasthenie-Sprache des Gender-Mainstreaming ausdrücken?

„Das Lieblingsspielzeug der Protagonist_*Innen dieser Szene ist die Sprache. Sie muss als Erstes diskriminiert werden, weil sie schon morgens beim Brötchenkauf  Diskriminierung produziert.

Asslar Adeo 2015

Asslar Adeo 2015

Die Gender-Front hat es schwer Herr/Frau/Es/Wasauchimmer der Lage zu werden. GleichstellungskommissarInnen zensurieren Wörter. Es wird empfohlen, Begriffe wie Vater und Mutter durch Elter 1 und Elter 2 zu ersetzen, gendersensibel wird aus ‚Not am Mann’ nicht ‚Not an der Frau’ sondern eine Notlage.”

GenderGaga

Sexpistole

22. Juni 2015 von Wolfgang Köhle

 

In einer Welt voller Anzugträger lässt er die Hosen runter. Er wagt sich vor, die anderen folgen, wenn es sicher ist. Ein kompromissloser Draufgänger. Ein Typ, der aufsteht und Farbe bekennt – in einer Welt, in der scheinbar alle farbenblind sind. Jonny Rotten, Sänger der Sex Pistols.

„Mein letzter Wunsch in diesem Leben ist es, den höchsten Ton zu treffen, der menschenmöglich ist. Und wenn mir dabei sämtliche Blutgefäße platzen und mir das Hirn zu den Ohren rausspritzt – für mich wäre das die schönste Art zu sterben. Muss nicht unbedingt auf der Bühne oder überhaupt vor Publikum sein. Hauptsache, ich treffen diesen Ton, der einen mit Gott verbindet, und ‚god’ liest sich rückwärts immer noch ‚dog’. Der ultimative Ton, er ist in mir drin. Endlich etwas erreichen, das übermenschlich ist. Als Idee ist das natürlich verrückt, aber ich kenne niemand, der nicht verrückt ist. Wir alle streben nach etwas, das wir unmöglich erreichen können. Bei mir ist es dieser Ton, den man höchstens mit einer Hundepfeife erzeugen kann. Auf meinem Grabstein soll stehen: ‚Dieser letzte Ton war unhörbar.’”

Mein Leben unzensiert

München Heyne 2015

München Heyne 2015

Genug ist des Weisen Überfluss

19. Juni 2015 von Wolfgang Köhle

 

Nicht das Nichtstun, das absichtsvolle Nichttun ist schwieriger als das Tun.

„Nichttun ist nicht nur eine Alternative zum Tun, sondern - in Zeiten, in denen es gilt, sich durch Aktivität auszuzeichnen - vielleicht die anspruchsvollere Form des Handelns. Es bedarf eines Mehr an Energie und Stärke, etwas zu unterlassen, als es zu tun, wenn beide Formen des Handelns möglich sind. Agieren kann nicht unbedingt mit effizientem, nachhaltigem Handeln gleichgesetzt werden. Um langfristige Ziele zu erreichen, ist es oft erforderlich Naheliegendes zu unterlassen. Durch Unterlassen schaffen wir uns wichtige Frei- und Denkräume. Oft erkennt man erst aus dem bewussten Nichttun heraus, was wirklich wesentlich ist. Beim Unterlassen geht es auch um die Verantwortung für die Wirkung des eigenen Tuns.”

Tun oder Nichttun?  Das ist hier die Frage.

Göttingen Wallstein 2015

Göttingen Wallstein 2015

Glück, Chemie, oder Weisheit

17. Juni 2015 von Wolfgang Köhle

 

Chloe und Rasmus sind bald zwanzig Jahre verheiratet. „Eigenheiten, die ich bei anderen Menschen verachten würde, sind mir bei Rasmus egal. Ich registriere sie, mache mich darüber lustig, aber es stört mich nichts. Glück, Chemie, oder die Weisheit? Vielleicht kann man sich an jeden gewöhnen und ihn dafür lieben, dass er einen erträgt. Die Fremdheit überwinden und familiär werden, das ist die Weisheit, über die nur wir verfügen, denke ich oft, wenn ich die Trennungen in unserem Bekanntenkreis mit moralischer Überlegenheit verfolge. Wir haben den Lottogewinn, das Geheimnis, oder wir sind einfach klüger als die anderen.”

Doch Behaglichkeit schließt Ekstase aus, Chloe verliebt sich in Benny. „Der Zustand der Unendlichkeit. Die Freude am Leben. Darum geht es doch, wenn wir uns verlieben. Nicht endlich sein, nicht auf der Erde sein, nicht an Konsequenzen denken, oder an den Tod. Verliebtheit ist der Zustand, den wir vielleicht nur in der Kindheit erleben. Nur nennen wir es dann anders. Lebendigsein.”

München Hanser 2015

München Hanser 2015

 

Der Tag als meine Frau einen Mann fand von Sibylle Berg ist kein Roman für (Ehe)Romantiker, zart besaitete, an die Liebe Glaubende.

Bildung macht glücklich

15. Juni 2015 von Wolfgang Köhle

 

Bildung macht glücklich - wenn man rechtzeitig darauf schaut, dass man sie hat, wenn man sie braucht. Vor lauter reden weiß niemand mehr, was Bildung bedeutet, aber alle fordern ihre Reform. Bildungsforscher und -experten, Agenturen, Testinstitute, Lobbys und nicht zuletzt Bildungspolitiker treiben ihr Unwesen. Nach der „Theorie der Unbildung” nun also ihre Praxis: Konrad Paul Liessmann kritisiert die Bildungspolitik.

„Bildung, so hört und liest man immer wieder, ist nicht nur die wichtigste Ressource für rohstoffarme Länder, sie erfüllt nicht nur die Bedürfnisse der Wirtschaft nach kompetenten und hochqualifizierten Arbeitskräften, sie gleicht nicht nur die sozialen Unterschiede der Menschen und die Nachteile der Migranten aus, sondern sie ist auch eine beständige Quelle des Glücks für den Einzelnen. Bildung ist, so sagt man gerne, die Voraussetzung für ein erfülltes, selbstbestimmtes und gelingendes Leben. Nur der Gebildete weiß seine Chancen zu nutzen, die Herausforderungen anzunehmen und seinem Leben einen zukunftsorientierten Sinn zu verleihen. Wie bei allen Phrasen besteht bei ihrem inflationären Gebrauch die Möglichkeit, dass sie nicht beim Wort genommen werden dürfen.”

Geisterstunde: die Praxis der Unbildung

Wien Zsolnay 2014

Wien Zsolnay 2014

Lasst die Kinder in Ruhe!

12. Juni 2015 von Wolfgang Köhle

 

Mit der Geburt werden nicht nur Kinder, sondern auch Eltern geboren. Auch neue Sorgen und Ängste: Unser Kind ist rückständig, es kann altersgemäß NOCH NICHT sitzen, krabbeln, reden, ect. Therapien sind in vielen Fällen überflüssig, ja sie können sogar nachhaltig schaden. Aus gesunden Kindern werden kranke:

„Die meisten Jungen werden im Alter von fünf und acht Jahren zum Kinderarzt geschickt, weil sie angeblich ADHS haben. In diesem Alter steuert aber auch der natürliche Bewegungsdrang der Kinder auf seinen Höhepunkt zu. Selbst wenn sie wollten, könnten sie nicht stundenlang hingebungsvoll über irgendwelchen Bastelarbeiten oder Hausaufgaben stillsitzen. Schule ist also für viele Kinder und vor allem für Jungen eine Art Zwangsjacke, die ihre biologischen Bedürfnisse einengt. Erst recht, seitdem die Kinder bis in den späten Nachmittag in Klassenräumen eingepfercht sind, die meist viel zu klein sind und in denen es keine Möglichkeit gibt, sich abzugrenzen oder auszutoben. Seit Jahren beobachte ich, dass vor allem die Kinder wegen Aufmerksamkeitsproblemen zu mir geschickt werden, die im Frühling geboren werden, sogenannte Maikinder. Sie sind mit knapp sechs Jahren die jüngsten in der Klasse …”

Als Kind ließ man mich sein, also wurde ich gut erzogen. (Peter Handke)

Kindheit ist keine Krankheit

Frankfurt/Main Fischer-Taschenbuch-Verl. 2015

Frankfurt/Main Fischer-Taschenbuch-Verl. 2015

All good people read good books

9. Juni 2015 von Wolfgang Köhle

 

Im deutschsprachigen Raum erscheinen jährlich etwa 100.000 Titel, tatsächlich gibt es eine Milliarde gedruckter Exemplare. Verdient es ein einziges Exemplar, mag es noch so trivial, unnütz, bedeutungslos oder ungelesen sein, fortgeworfen oder zerstört zu werden? Gehört es zur heiligen bibliothekarischen Pflicht „überflüssige” Bücher vor der Vernichtung zu beschützen?

Die Reihe Ästhetik des Buches widmet sich den einzigartigen ästhetischen, kulturellen und wahrnehmungspsychologischen Qualitäten des gedruckten Buches. Optik, Haptik, Formgebung, sinnliche und lesetechnische Vorteile des Kulturgutes Buch stehen im Mittelpunkt.

Das Ende einer Last – Die Befreiung von Büchern handelt nicht von Zetteln, Heften, Karten, Blättern, Manuskripten, Skizzen oder Entwürfen. Es sorgt sich um das gedruckte Buch, handelt von der Geschichte des Buches. Ist die ideale Vorstellung des Buches körperlos?
„Bevor wir zu jenen Denk-Schreib- und Redemaschinen werden, die Nietzsche vorausgesagt hat, verloren in einem Universum binärer Zahlen, scheint von dem, was wir sehen und anfassen, was wir begreifen können und was schwer in der Hand liegt, eine gewisse Beruhigung auszugehen. Vielleicht sind es solche Empfindungen, die uns bei den Büchern halten.”

Göttingen Wallstein 2013

Göttingen Wallstein 2013

Entdigitalisiert euch

5. Juni 2015 von Wolfgang Köhle

 

Die elektronische Totaltransformation der schriftlichen Überlieferung ist in vollem Gange. Kann es eine digitale Bibliothek geben, wenn das Wort „Bibliothek” Sinn machen soll?

„Wer dagegen ist – und es sind viele dagegen -, scheint wenig mehr in petto haben zu können als den erwähnten Konservativismus, der für wertvoll hält, was er kennt, und für verdächtig, was er nicht kennt. Weshalb es denn auch sehr passend erscheint, wenn die Verteidiger des Buches bisweilen einen elegischen Ton anschlagen, in dem sich die kulturelle Überlegenheitsgeste mit dem Motiv der Vergeblichkeit paart. Aber so scheint es nur aus der Perspektive der eilfertigen Digitalisierer, die davon überzeugt sind, daß sie und nur sie vom Wind der Geschichte in die richtige Richtung getrieben werden. Geht man in eine windstille Ecke, sieht es ganz anders aus.”

Medienkörper : Wandmedien, Handmedien, Digitalia von Uwe Jochum

Göttingen Wallstein 2014

Göttingen Wallstein 2014

Ende einer Kindheit

2. Juni 2015 von Wolfgang Köhle

 

„Papa machte den Mund nicht auf. Es gab auch nichts zu sagen: Zu reden hätte nur eine Schicht nutzloser Worte über die Dinge gelegt. Da die Realität alles andere als schön war und nicht dem entsprach, was er für richtig hielt, vergrub Papa einfach die Fäuste in den Taschen und schwieg, in der Hoffnung, dass das Ganze schon irgendwann vorübergehen würde.”

1976 herrscht Dürre in Europa. Eine Katastrophe für die Landwirtschaft. Den Hof der Sutters trifft es besonders hart. Für den 13-jährigen Gus Suter bringt der Sommer das Ende seiner Kindheit. Innerhalb weniger Wochen bricht das vertraute Gefüge auseinander, das seine Familie und seine Welt zusammenhält.

„Nach einer langen Weile des Schweigens, zwischen seinem Sohn und seiner Tochter sitzend, stieß Papa schließlich ein kurzes, heiseres Brummen aus, weil er soeben den Trost gefunden hatte, den er in den Tiefen seines Inneren suchte.”

Roland Buti, Das Flirren am Horizont

Zürich Nagel u. Kimche 2014

Zürich Nagel u. Kimche 2014

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